Wald am Leithagebirge

Es war dunkel im Wald. Stockduster um genau zu sein. Als Liam in den Wald hineingelaufen war, war es noch hell gewesen, doch nachdem er sich vom Weg entfernte hatte, wurde es immer dunkler.
Nun war er so tief im Wald, dass er seine eigenen Hände nur noch schemenhaft erkennen konnte.
Er war die ganze Zeit gerannt. Sein Herz pochte wild, in seinen Ohren rauschte das Blut. Er war wütend. Und traurig. Er konnte nicht mehr weiterlaufen. Er sank zu Boden.
Alles um ihn herum war dunkel. Alle Tiere, deren Auren er vor einiger Zeit noch gesehen hatte, waren verschwunden. Er war ganz allein hier im Wald. Hoch oben in den Baumkronen konnte er wenn er sich anstrengte einige sehr schwache Lichtflecken erkennen, es waren jedoch zu wenige um den Wald auch nur ansatzweise aufzuhellen. Er fing an zu weinen.
»Was passiert hier nur?«, dachte er.
»Warum verliere ich meine einzige Freundin? War sie überhaupt je mit mir befreundet, oder habe ich das nur gedacht???«
Dann lag er einfach nur da und rauschte den Blättern im Wind. Er spürte nur eins:

Verzweiflung.

Sie hasste es einfach sitzen gelassen zu werden, daher war sie ihm nach geeilt. Doch leider war sie lange vor ihm im Wald angekommen. Tja, wenn man nun mal schneller als Schallgeschwindigkeit war, konnte man gut schneller als ein Menschlein sein. Daher hatte sie sich einen kleinen Spaß beim Jagen gemacht. Doch Tiere schmeckten nicht sonderlich gut und spendeten auch keine Energie. Gelangweilt suchte sie nun nach dem Menschen, der doch mittlerweile angekommen sein musste. Seine Gedanken hallten durch den ganzen Wald. Du hast ihn Traurig gemacht, du Zecke! Klappe, oder ich nehme wieder den Trank! Mit Vampirspeed lief sie zu Liam und sprang lautlos auf einen Baum. "Weine nicht, Liam. Luna meinte es ehrlich mit dir. So auch ich!", gestand sie leise. Mit Menschen zu spielen, gefiel ihr, doch im Moment meinte sie es wirklich ernst.

Er hatte sie nicht kommen hören. Warum hatte sie ihn weinen sehen? Er wollte nicht dass sie ihn weinen sah.
Er hob den Blick nicht. Er musste ihn nicht heben. Die schwachen Ausläufer ihrer Aura ließen ihn wissen, dass es ihr ernst war. "Hast du mit mir gespielt? Im Zug konnte ich kaum die Augen von dir lassen. Hast du das gemacht? Lamia?", es war komisch Luna mit einem anderen Namen anzusprechen. Aber was für ein Name! Er klang einfach... und passte zu einem Geschöpf wie sie es war.
Er schniefte. Der Wald roch gut. Der Geruch der Natur beruhigte ihn immer. Er liebte es draußen zu sein.
Er hob den Blick. Seine Frage stand noch zwischen ihnen. Er sah ihr tief in ihre schwarzen Augen.

Elegant landete sie auf einem Ast, der in seiner Augenhöhe war. Dort nahm sie galant Platz. "Ich kann nichts dafür, dass ich so eine Wirkung auf Menschen habe!" Es klang mehr als entschuldigend. Was konnte ein Vampir schon für seine Wirkung auf Menschen? Immerhin zählte sie zu den Raubtieren und Liam zu den Futtertieren. Aber in keinem Augenblick hatte sie ihn als solches gesehen.

"Ich weiß es nicht. Es tut mir leid. Ich bin nur... traurig. Und verwirrt. Ich weiß nicht was ich jetzt tun soll... ", schniefte er. Es kam ihm zu weichlich vor sich auszuheulen. Also starrte er sie nur an. Er beobachtete ihre Aura. Ihre beiden Auras. Er studierte alle vier ebenen, sah Glitzern, Wirbel und Unregelmäßigkeiten. Er erinnerte sich daran, dass er noch nie Probleme hatte sich mit magischen Geschöpfen zu verstehen. Das spielen mit den irischen Kobolden in seiner Kindheit, der Werwolf den er in Deutschland gekannt hatte, und andere Geschöpfe die er in der Natur, die er so liebte, getroffen hatte. Und er kam mit ihnen allen aus. Er sollte sie akzeptieren. Sie war immer nett zu ihm gewesen und ihre Aura bestätigte, dass sie ihn mochten. Alle beide. Lamia und Luna.
Es waren bestimmt zehn Minuten vergangen, als er seinen Mund öffnete.
"Ich muss euch vertrauen. Ich glaube ich kann euch vertrauen. Freunde?", er starrte ihr tief in die Augen...

Lamia nickte. "Freunde ..." Wie sentimental. Und wie ihr sowas normalerweise auf die Nerven fiel. Doch diesmal nicht. Freunde ... Hatte sie jemals behaupten können einen Freund zu haben? Naja, Miles war nicht nur ein Freund, sondern Lunas Partner und ihr, Lamia hatte bisher noch niemand die Freundschaft angeboten. Sie überkreutze die Beine und zupfte ihr Kleid zurecht. Luna schien sich auf damit zufrieden zu geben. Immerhin war die Blondine mal schweigsam. Welch Wunder. Und die Kopfschmerzen hielten sich unter der Nullgrenze auf. Wie wunderbar.

Ihr Kleid schimmerte sogar in dem fast nicht vorhandenen Licht, welches in diesem Wald vorherrschte...
Und ihre Aura zeigte ihm, dass sie sie freute. Sie mochte ihn...
»Es gibt nicht viele Menschen, die behaupten können von einem Vampir gemocht zu werden...«, dachte er und fühlte sich glücklich. Wen hatte er dort eigentlich vor sich?

Sein Blick wanderte zu ihren schwarzen Stiefeln, wanderte die langen Beine nach oben und glitt über ihr Kleid mit dem violetten Saum,
der Corsage welche ihre schlanke Hüfte wunderbar betonte und weiter zu ihrem von den blonden Haaren mit dem rötlichen Schimmer umflossenen Gesicht. Sein Blick wanderte über ihre hübschen, roten Lippen weiter nach oben.
Er sah ihr tief in ihre unendlichen, schwarzen Augen und war erstaunt wie hübsch sie war.
Auch jetzt immernoch, wo der Vampirismus ihm nichts mehr anhaben konnte, da er wusste, dass sie ein Vampir war.
Mit einem verspielten lächeln auf den Lippen fragte er: "Kann mir der Vampirismus etwa doch etwas anhaben oder bist du einfach so unglaublich hübsch?"

Fast schon wie in Zeitlupe (so nannte sie zumindest das Menschliche Fassungsvermögen) glitt sie vom Baum und landete lautlos in dem alten vergilbten und verwesenden Laub. Selbst da es heißester Sommer war, lag immer noch das Laub des letzten Herbstes im Wald. Die natürliche Düngung, aber das war jetzt egal. Jedes Lebewesen, ob Mensch oder Vampir, endete irgendwann auch als Humus. Aber bevor man Humus wurde, sollte man auch Spaß haben und der schien gerade ein neues Kapitel zu schreiben. "War das etwa ein Flirtversuch, vom sonst so schüchternen Menschlein?", lachte sie leicht amüsiert, fühlte sich aber dennoch geschmeichelt. Welche Frau bekam nicht gerne Komplimente. Menschlich bewegte sie sich auf ihn zu und hielt unmittelbar vor ihm. Er schien tatsächlich keine Angst mehr zu verspüren.

Er fühlte sich sicher. Er fühlte sich gut. Sie war ihm verdammt nah. Vielleicht zu nahe? Nein.
In diesem Moment war sie ihm definitiv nicht zu nahe. Sie war ein wenig kleiner als er. Ihre Frisur befand sich auf seiner Augenhöhe. Er sah ein wenig auf sie herab.
Er legte seine rechte Hand auf ihre Hüfte und zog sie an sich heran. Selbst von sich erstaunt, sagte er dann auch noch etwas: "Ein Versuch? Wieso nur ein Versuch?"
Unglaublich... so kannte er sich garnicht. Vielleicht war Lamia genau der Umgang, den er brauchte.
Sie war ihm so nah, dass er ihren Atem hören konnte. Es war ein gutes Gefühl, ein leiser Schauer ging ihm von Kopf bis Fuß. Er fand sie unglaublich anziehend. Kein Wunder: Sie war genau das, was man sexy nennen durfte.

Überrascht von seiner Aktion huschte ihre Augenbraue nach oben. "Ein Versuch, mit der Gefahr zu spielen?", hauchte sie ihm ins Ohr. Immerhin war sie schon so nahe. Das einzige, was sie wie immer störte, war, dass sie leicht zu ihm aufblicken musste. Sowas hasste sie auf den Tod, aber bei ihm machte ihr das nicht wirklich etwas aus, zumindest bildete sie sich das ein. Sie grinste ihn an und ließ ihre Zähne aufblitzen. Doch er hatte keinen Grund, Angst zu empfinden. Was war nur mit ihr los? War er etwa kein Mensch? Doch er war einer. Die Berührung seiner warmen Hand ließ darauf schließen. Sein Blut schien zu pulsieren, sein Herz raste leicht. War er etwa nervös? Nein, es musste etwas anderes sein. Nur was?

Eine Schar Fledermäuse flatterte auf. Er hatte sie nicht bemerkt. Sie hatten wohl hinter ihm gesessen.
Sie flogen durch die Baumwipfel. Ein morscher Ast brach ab und viel herunter.
Das Mondlicht welches durch die entstandene Lücke fiel, ließ ihre Haare leuchten. Auch in ihren Augen glitzerte es.
"Manchmal brauche auch ich eine kleine Dosis Gefahr..." flüsterte er.
Jetzt wo sie aufblickte konnte er ihren Atem im Gesicht spüren. Normalerweise rastete er aus, wenn jemand ihn irgendwie anatmete, doch das hier gefiel ihm irgendwie. Sein Puls beschleunigte sich...
Im Mondlicht sah sie noch besser aus. Umwerfend!

Wie romantisch. Fledermäuser, die vorbeiflatterten und für Mondlicht sorgten. Genauso stellte sich die Vampirin ein Traumdate vor. Wieso war sie nur so unpassend gekleidet? Und wieso machte sie sich solche Sorgen, wo doch nur ein Mensch vor ihr stand? Doch seine Worte machten sie nur umso neugieriger auf ihn. "Dann ... lass mich diese Gefahr sein ..." hauchte sie erneut zuckersüß. Das die Wortkombination "kleine Dosis Gefahr" vielleicht eine Anspielung auf ihre Körpergröße sein könnte, war ihr egal. Ihre Augen hingen an seinen Lippen, welche doch so nah waren. Sie wollte sie kosten, diese menschlichen Lippen. Doch nicht zubeißen, wie es üblich war, sondern nur ihre auf seine Lippen drücken. Langsam näherte sich ihr Mund dem seinen und sie konnte es nicht mehr aushalten zu warten. Schon berührten sich ihre Lippen. Ahh, was tust du! Mein Körper gehört Miles ... warte, vergiss das eben. Mein Körper gehört MIR und ICH bin mit MILES zusammen! So klingt das besser. Und nun hör auf!! Zwing mich doch! Luna begann zu toben, doch es brachte nichts. Der Kuss zog sich wunderschön in die Länge.

Ein kribbeln durchfuhr ihn. Ihre Lippen schmeckten so unglaublich gut. Die Hand, die nicht an ihrer Hüfte lag, krallte sich in die Haare der wunderhübschen Vampirdame an seinen Körper. Liam fühlte sich sicher.
Seine Zunge spielte an ihren spitzen Vampirzähnen. Es fühlte sich anders, aber gut.
Er versuchte zu denken, doch seine Gedanken waren komplett lahm gelegt. Es fühlte sich so wunderbar gut an. Er schob sie vorsichtig in Richtung des Baumes und presste sie rückwärts gegen den Stamm.
Er küsste sie weiter. Ihre samtweichen Lippen fühlten sich gut an, sie musste geübt haben.
Wenn er die Augen nicht intuitiv geschlossen hätte, hätte er vielleicht bemerkt wie sich Lunas kleine Aura veränderte...
Doch er sah es nicht. Und er hätte es nicht interpretieren können. Sein Kopf war leergefegter als der Raum der Wünsche, wenn jemand sich nichts wünschte. Das einzige was in seinem Kopf war, war die Vampirin, die gerade an einen Baum gepresst vor im stand und ihre Lippen auf seine drückte...

Liam wusste, was eine Frau glücklich machte. Kein Mann konnte küssen, wenn er das Mädchen nicht ordentlich dabei gegen die Wand drückte, oder in dem Fall gegen den Baum. Sie fühlte die warme Rinde an ihrem Rücken, während ihre Hände auf seinem warmen Oberkörper ruhten. Wie Menschen diese Wärme nur aushielten? Er war gieriger als sie nach den Küssen und das er sich keine Sorgen um ihre Zähne machte, belustigte sie eher. Normalerweise war es in diesen kitschigen Roman doch so, dass der Junge der Vampir war und das Mädchen der Mensch. Doch hier war es umgekehrt und dennoch war sie es, die an den Baum gepresst war und deren kalte Hände auf seinem warmen Brustkorb ruhten. Luna war ausgeblendet, auch wenn pulsierende Kopfschmerzen das Resultat ihres Protestetes waren. Doch Miles war nicht ihrer, sondern Lunas Freund, also konnte das hier ruhig geschehen.

Ihre Hände ruhten auf seinem Brustkorb. Es fühlte sich wunderbar an.
Er fing an zu spielen. Er schlug mit seiner Zunge gegen ihre und zog seine dann blitzschnell zurück.
Seine zweite Hand ruhte nun auch an ihrer Hüfte. Er konnte spüren dass sie aufgeregt war. Sie atmete schneller als sie es normalerweise tat. Als er seine Lippen vorsichtig von ihren löste und sie von einem sehr kurzen Abstand an. Sie atmete laut. Lamia war in diesem Moment so präsent, dass Lunas Aura vollständig verschwunden war. Während seine Hände sich in ihre Hüfte krallten hörte er etwas. Was war das für ein Geräusch? Woher kam es?
Kam es von Lamia? Lamia machte dieses Geräusch.
Knurrte sie?? Nein. Sie schnurrte!!!

Wieso hörte er auf? Es war so abrupt, dass sie zuerst gar nicht mitbekam, was er tat. "Na genung gespielt?", scherzte sie und beobachtete ihn ebenfalls mit blitzenden Augen. Sie wollte mehr, daher begann sie seinen Hals mit Küssen zu versehen. Lamia musste sich unheimlich zurücknehmen, sonst hätte sie ihn entweder zerquetscht oder gebissen. Aber Liam toch auch so höllisch gut. Vielleicht hatte sie sich deswegen zu dem hier hinreißen lassen? Die Vampirin brach ab und versuchte ein wenig Würde zu bewahren. Ihre Zunge fuhr über ihre Lippen, während ihre Augen den Jungen fixierte. "Auch wenn ich derlei Spielchen im Wald genieße, muss ich dennoch erwähnen, dass dieser Wald nicht nur voll von Vampiren ist, sondern es auch andere Kreaturen gibt. Und die sind nicht so ... zärtlich wie ich!" Erneut hafteten ihre Lippen an seinen. Es war zwar noch nicht sehr spät, dennoch war es eine fortgeschrittene Uhrzeit. Und wie auf ein Zeichen, begann das fürchterliche Klanzeichen zu schmerzen. Das durfte doch nicht wahr sein! Nicht zu diesem Zeitpunkt. Schwer löste sie sich von seinen Lippen. "Ich werde gerufen! Lass uns das auf Morgen verschieben", hauchte sie lieblich in sein Ohr und lief dann in Richtung Klangebäude davon. Wehe denen es war nicht wichtig.

Da stand er. Sie war weg. Was war los? Sie wurde gerufen?
Er begriff nur sehr langsam. Er stand ganz allein im Wald. Er war noch in einer Art Trancezustand.
Lamia... Er hatte Lamia geküsst. Es war gut gewesen.
Sie hatten Frieden geschlossen. Sie musste weg. Sie wollte "es auf morgen verschieben."
So stand er noch einige Zeit allein im Wald.
Dann drehte er sich um und verschwand in die Nacht.