Battersea Park

„Wenn du meinst.“, meinte die Blonde und zuckte nur arglos mit den Schultern. Der Regen wurde langsam schwächer und bald würde Reuel kaum noch einen Grund dafür haben hier zu sitzen und sich ihre Gemeinheiten anzuhören. Dass sie nicht anders konnte als solche sentimentalen Habseligkeiten mit Argwohn zu betrachten, war dabei anscheinend vollkommen gleich. Immerhin war sie ja die garstige Schlange und er nur ihr armes Opfer. Also bitte, irgendwann, musste man doch selbst dieses Klischee loswerden können.
„Ich hab alles weggeschmissen. Verbrannt, wenn man es genau nimmt.“, erklärte die Slytherin weiter, ohne sich darum zu scheren, ob der Junge neben ihr überhaupt noch zuhörte oder sich bereits in seine eigne Gedankenwelt zurückgezogen und die Blonde rausgeschmissen hatte, „Kaum, dass ich alt genug war um zu verstehen. Vielleicht ist es deshalb für mich so unverständlich, dass du dieses Ding mit dir rumtragen willst.“

Schweigend saß Reuel neben dem blonden Mädchen und war sich nicht darüber im Klaren, ob er antworten sollte, oder nicht. Sie gewährte ihm von sich aus einen Einblick in ihr Leben und Reuel fand es unpassend weiterzubohren und sie auszuhorchen. Ob sie ihm noch mehr anvertrauen wollte war allein ihre Entscheidung und er wollte sie zu nichts zwingen. Seine Neugierde blieb somit auf der Strecke und der Ravenclaw stumm.
Vollkommen reaktionslos verblieb er allerdings nicht, denn er begann sanft mit seinem Daumen über ihren nassen Handrücken zu fahren.
Nur noch wenige Tropfen fielen nun aus den Wolken und dennoch würde es Stunden brauchen, bis die beiden Durchnässten wieder halbwegs trocken waren, sofern keine Magie im Spiel war. Es wäre ein leichtes für Reuel gewesen sie beide zu trocknen, doch sie waren an einem öffentlichen Ort, wo jederzeit ein Muggel vorbeikommen konnte und der Ravenclaw hatte keine Lust auf eine Anhörung im Zaubereiministerium, weshalb das Trocknen auf später verschoben werden musste.
Auch wenn es bitterlich kalt werden und er sich höchstwahrscheinlich eine Erkältung einfangen würde, Reuel wollte noch nicht aufstehen und gehen. Zu angenehm war Euphemias Anwesenheit und zu seltsam dieser Moment.

Euphemia sog scharf Luft ein, als sie sich bewusst wurde, dass seine Hand immer noch auf ihrer lag. Ihr Herz pochte noch immer stolpernd, aber genau das war es, was sie im Moment am wenigsten hören wollte. Die Slytherin wollte Reuel nicht mögen. Hatte sie doch gestern noch beschlossen ihm endgültig aus dem Weg zu gehen um zu vermeiden, dass sie noch völlig verrückt wurde. Obwohl ihr nicht danach zu Mute war, redete die Blonde nun weiter. Einfach um sich selbst nicht denken zu hören, um diesen lästigen Moment und die bescheuerten Gefühle zur Hölle zu schicken: „Ich kenne meine Eltern nicht. Seit ich denken kann lebe ich bei meiner Adoptivfamilie und ich will mich auch nicht darüber beschweren. Nur will ich mit den Erinnerungen an meine richtige Familie nichts zu tun haben. Also gab’s ein kleines Feuerchen und fertig. Dumm oder?“
Nun lächelte die Slytherin und drehte ihren Kopf zu ihrem Gesprächspartner, der ohnehin in Schweigen verfallen war. Fakt war, dass sie weder wusste, ob ihre richtigen Eltern einfach verreckt waren oder irgendwo eine glückliche Familie hatten. Das war alles und es war gleichzeitig so wenig, das man hätte schreien können vor Verzweiflung. Aber die Slytherin hatte sich daran gewöhnt. Sie liebte ihr Familie und das reichte auch. Sonst brauchte sie niemanden. Wirklich niemanden.

"Du wurdest also adoptiert", wiederholte Reuel leise und sah die Slytherin unvermittelt an.
Die Zeit des Schweigens war vorbei, zu groß die Neugierde und der Wunsch mehr über das seltsame Mädchen Euphemia Holmes zu erfahren.
"Verzeih mir, wenn ich frage, aber deine Adoptiveltern sind Muggel, oder?"
Der Kleidung nach zu urteilen und vorallem aufgrund des Discmans gab es kaum eine andere Möglichkeit. Natürlich hätte es auch sein können, dass ein Teil ihrer Adoptiveltern magisches Blut in sich trug, aber irgendwas sagte Reuel, dass dem nicht so wahr und die Slytherin sich auch deshalb in die Rolle ihres Hauses in Hogwarts zu zwängen versuchte. Vielleicht war sie sich selbst nicht sicher, ob sie überhaupt nach Hogwarts gehörte und war deshalb so seltsam und launisch. Wusste sie etwa selbst nicht, wo ihr Platz war, in welcher Welt? Alles nur Spekulation, aber Reuel hatte Gefallen daran gefunden sich Gedanken über das undurchsichtige Mädchen zu machen, welches so verschieden war von Tag zu Tag.

„So unmagisch wie man nur sein kann. Eine Putzfrau und ein Nachtwächter. Eine tolle reiblütige Schlange bin ich, was?“, entgegnete die Blonde schief lächelnd und verzog das Gesicht, als ihr Magen lauthals knurrte. Den ganzen Tag ohne Essen zu verbringen war eine miese Idee gewesen, eine ganz miese. Und sie wurde das Gefühl nicht los, dass diese Unterhaltung hier eine ebenso schlechte Idee war. Dabei war es nicht einmal eine Idee gewesen. Es war zum verrückt werden.
Da! Da war es wieder. Er machte sie verrückt. Na ganz klasse. Euphemia seufzte leise. Wie spät war es? Sicherlich viel zu spät. Rachel würde ausrasten, sofern sie überhaupt bemerkt hatte, dass sich Euphemia nicht wie üblich in ihr Zimmer verkrochen hatte. Und einen Hausschlüssel hatte sie immer noch nicht. Aber, vielleicht konnte man das ändern.
„Genug davon. Ich habe eine Bitte an dich Freak.“, erklärte Phemia nun für den Ravenclaw unzusammenhängend, „Bringst du mich Heim?“
Zumindest würde Reuel einen guten Schlüsseldienst abgeben. Immerhin konnte der Siebzehnjährige zaubern, ohne gleich das Ministerium auf den Hals gehetzt zu kriegen.

Die ironische Bemerkung über ihre Familie und die Häuserzuordnung in Hogwarts entlockte dem Ravenclaw ein leichtes Lächeln, ihre Bitte sie nach Hause zu begleiten festigte es dann.
Es wäre nur unhöflich gewesen die Slytherin alleine gehen zu lassen, auch wenn Reuel keine Zweifel daran hatte, dass sie auf sich aufzupassen wusste und eigentlich keinen Begleitschutz benötigte, zudem war ihm jetzt nach einem kleinen Spaziergang, nachdem er jetzt soviele Minuten, vielleicht auch Stunden, sitzend verbracht hatte. Einen weiteren Vorteil hatte die Eskorte dann auch noch. Wenn sie bei Euphemia waren, konnte Reuel einfach und unkompliziert per Flohnetzwerk zurück zum Tropfenden Kessel reisen und würde sich so den Rückweg ersparen.
Mit einem Satz, der ihm ein schmerzhaftes Ziehen in den Oberschenkeln verschaffte, war der Siebzehnjährige auch gleich auf den Beinen und zugleich bot er Euphemia seine Hand an, um ihr aufzuhelfen.
"Dann lass uns mal aufbrechen, bevor wir hier festwachsen."

Damit wäre ihr Schlüsseldienst gesichert. Lächelnd ließ die Slytherin sich aufhelfen, jedoch nicht ohne sich um eine weitere Bemerkung zu erleichtern, indem sie sich durch Hochziehen ein wenig näher an sein Ohr buchsierte und beinahe wie am gestrigen Tag säuselte: „Bist du dir ganz sicher? Ich könnte dich verschleppen.“
Grinsend schob sie sich wieder ein Stück weit weg. Dieses kleine Spiel war ihr letzter Rettungsanker, der letzte Weg ihn von sich fern zu halten, sein Misstrauen wieder zu wecken. Sie wollte ihn nicht in ihrem Leben haben. Höchstens als kleine Randfigur, die ein wenig Hohn und Spott vertrug. Mehr nicht. Mehr wäre zu viel. Mehr würde sie wahrscheinlich völlig kaputt machen, auch, wenn sie sich das vielleicht insgeheim sogar wünschte.

"Und dann wieder weglaufen wie gestern? ... Ich werde dich jedenfalls begleiten, egal was du mit mir vorhast", erwiderte Reuel neckend und schnappte sich seine Jacke, die auf den Rasen gefallen war, legte sich dann aber erneut über Euphemias Schultern, obwohl es ihn selbst unangenehm frierte.
Das warme Feuer, dass ihn in seinem Zimmer im Tropfenden Kessel erwartete, drängte sich wieder in seine Gedanken. Je schneller sie bei Euphemia waren, desto schneller konnte er diese Wärme genießen. Es galt also keine Zeit zu verlieren und so schritt Reuel mit großen Schritten voran, trotz mangelhafter Wegkenntnis. Bis aus dem Park würde er aber auch ohne ihre Hilfe gelangen und danach konnte sie ja übernehmen.